Hallo Anna
Ich finde auch, dass es in diesem Forum, genau so wie in der Bi-Gruppe, die sich jeden ersten Donnerstag in Zürich trifft (http://haz.ch/beratungs-angebot/bisexuelle/treffpunkt), die grösste Bereicherung ist, wenn die Beteiligten von sich selber, ihrer gegenwärtigen Situation und ihren Erfahrungen berichten.
Ich selber habe das Outing in verschiedenen Phasen erlebt: Als ich mit 16 meinen ersten Freund kennengelernt habe, war ich noch sehr naiv. Ich erzählte meiner Mutter ganz arglos, dass ich jetzt nicht mehr eine Freundin hätte, sondern einen Freund. Erst als meine Mutter besorgt reagierte mit der Bemerkung: "Ach, was sagt auch Pappi dazu.* realisierte ich, dass das ein Problem sein könnte. Meine Eltern bestanden darauf, dass ich zu einem Psychiater müsse. Beim Erstgespräch, das mit meinen Eltern stattfand, erklärte dieser klipp und klar, dass an meiner homosexuellen Neigung nichts zu ändern sei, das einzige was sie tun könnten sei, sich mit dieser Tatsache anzufreunden. An dieser Stelle muss ich meinen Eltern ein Kompliment machen, denn sie beherzigten den Rat des Psychiaters und willigten ein, meinen Freund kennenzulernen.
Natürlich waren sie sehr erfreut, als ich dann ein paar Jahre später eine Frau kennenlernte, in die ich mich verliebte, und mich mit ihr verlobte. Doch als diese Liebesgeschichte endete, und ich wieder einen Freund hatte, akzeptierten sie auch das. Da meine Partner und Partnerinnen auch immer an Familienfesten willkomen waren, und dies mit einer schönen Selbstverständlichkeit, wusste bald auch meine gesamte Verwandschaft über meine Bisexualität bescheid. Auch wahrend den 25 Jahren, in denen ich verheiratet war, und einen Sohn hatte. Ich glaube das Wichtige dabei war die Selbstverständlichkeit. Dadurch war es nicht eine Frage, wer dies oder jenes akzeptieren würde und wer nicht.
Aber Deine Frage geht ja um das Outing am Arbeitsplatz. Ich finde nur, dass der familiäre Hintergrund da eine grosse Rolle spielt. Ob man das wahr haben will oder nicht, der Rückhalt, der einem eine akzeptierende Verwandschaft geben kann, hat da eine grosse Auswirkung.
Ich selber habe die Erfahrung gemacht, dass je selbstverständlicher dieses Thema für mich und meine unmittelbare Umgebung ist, desto freier und unverkrampfter kann ich damit auch im Berufsleben umgehen. Ich verstehe sehr gut, und weiss auch aus eigener Erfahrung, wie unangenehm es sein kann, in einer Gesprächsrunde zu sein, die alle darüber sprechen, was sie mit ihren hetrosexuellen Partnerinnen und Partner erleben, und man selber eigentlich mitsprechen möchte, blockiert ist, weil man meint, man müsse zuerst etwas klar stellen, bevor man mitsprechen und mitdiskutieren kann.
Das Outing am Arbeitsplatz hatte für mich zwei Phasen: Am Anfang outete ich mich nur KollegInnen gegenüber, von denen ich annahm, dass sie diesem Thema tolerant gegenüberstehen. Das war schon mal eine Erleichterung, denn mit denen konnte ich offen sprechen. Doch mit der Zeit merkte ich, dass ein Ounting, wenn es den Charakter eines (schamhaften) Geständnisses hatte, mich doch immer in die Position dessen gebracht hat, der um Akzeptanz bat. Ich mich also in gewissem Masse auch erniedrigte damit um Verständniss zu bitten.
Je selbstverständlicher für mich die Tatsache wurde, sowohl zu Frauen als auch zu Männern eine Liebesbeziehung haben zu können, desto selbstverständlicher begann ich dann auch in ganz gewöhnlichen Gesprächen, sei es am Arbeitsplatz oder in gesellschatlichen Gesprächen oder kurzen Zufallsbegegnungen (z.B. in den Ferien) anstatt von meiner Freundin von meinem Freund zu sprechen, ohne daraus ein expilzites "Geständnis" zu machen, sondern meine Bemerkungen da anzubringen wo es im Gespräch dazu dient Klarheit zu schaffen, damit ich auch mitsprechen, oder eine (gegewärtige oder vergangene) Geschichte erzählen kann.
Meiner Erfahrung nach ist das Hintenherumgerede, die oder der sei doch schwul/lesbisch - auch am Arbeitsplatz - viel schlimmer. Oft ist es jedoch so, dass hetrosexuelle (in meinem Falle Männer) sich klar abgrenzen wollen und erklären, sie könnten sich nicht vorstellen, sich einem gleichgeschlechtlichen Partner sexuell zu nähern, sie sich aber eine Freundschaft mit gleichgeschlechtlichen Menschen, auch wenn diese homosexuell seien, aber nichts im Wege stehe. Das akzeptiere ich natürlich lachend, und das Eis ist gebrochen. In unserer westlichen Gesellschaft gilt es (gottseidank) heute schon beinahe zum guten Ton, dass Hettis mit schwulen FreundInnen oder Bekannten aufwarten können, damit sie ihre Toleranz beweisen können.
Ich weiss, dass dies ein langer Weg ist persönlich und gesellschaftlich. Er begann für mich da, wo ich meine eigene Bisexualität selber akzeptieren lernte, führte über das Outing der Familie gegenüber, in meinem Freundeskreis, am Arbeitsplatz, und dann auch dazu, dass ich mich in der Öffentlichkeit für LGBT-Anliegen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) zu engagieren begann. An Gesprächsgruppen, Demos und Arbeitsgruppen beteiligte. Artikel schrieb, Radiosendungen für www.gayradio.ch machte und heute die Arbeisgruppe für Bisexuelle bei der HAZ leite.
Heute bin ich pensioniert, blicke also auf ein reiches, bewegtes Leben zurück, lebe in einer intensiven Beziehung zu einem Mann, und schliesse eine schöne Freundschaft zu einer Frau, die meine Bisexuelitä akzeptieren und schätzen würde, nicht aus. Ich will nicht sagen, dass ich in Bezug auf Outing nun gar keine Probleme mehr habe. Ich merke, dass ich z.B. bei der Wohnungssuche nicht ohne weiteres beim Zivilstand angebe bisexuell zu sein. Ergibt sich aber z.B. bei der Besichtigung ein Gespräch, und ich werde auf meinen Beziehungsstatus angesprochen, scheue ich mich nicht mehr, offen zu sein. Es ist mir lieber abgewiesen zu werden, als Versteckspielen zu müssen.
Ich wünsche Dir alles Gute, wünsche Dir, dass Du zuerst Dich so akzeptieren kannst wie Du bist, und dann auch Dein Umfeld diese Akzeptanz mit Dir teilen wird.
Herzlich Peter