Roman: Die verlorene Sprache der Kräne, von David Leavitt

  • David Leavitt ist Jahrgang 1961, das Buch erschien in USA im 1986. dass sollte helfen das Buch zu platzieren, in einer Epoche der Schwule Bewegung in der Zeit wo AIDS fing an ein Thema zu werden, wenn in Vergleich zu heute outing noch schwieriger war und viele homosexulle Rechte noch zu erkämpfen. Das nur um den Mut des Autors vielleicht besser zu fokusieren. Auch in der sexull expliziten Beschreibungen des Liebesaktes. Das Buch ist allerdings heute noch sehr spannend und lesenswert, weil es bewegt sich nicht ganz auf der Ebene der soziale/kulturelle Integration. In Gegenteil ist das Individuum das Zentrum des Buches: wie jeder von uns Bedarf hat mit anderen zu kommunizieren, sich zu outen, die Schwierigkeiten in der Kommunikation, die Suche nach der Liebe. Und Leavitt beschreibt das ganz in seiner Komplexität, es ist die Erzählung vielen Charaktere, jeder mit seinem Persönlichkeit, seinen Probleme und seiner individuellen Lösung – oder auch nicht Lösung. Es ist die Geschichte einer „normale“ Familie. Mutterr, Vater, Sohn. Der Sohn ist erwachsen, ausgezogen, lebt seine Homosexualität offen obwohl seine Familie nichts ahnt, er sucht die echte Liebe. Der Vater ist schwul und traut sich nicht, kämpft mit seinem doppelleben. Das outing des Sohnes in der Familie bricht die Intakte Struktur zusammen, der Vater muss sich auch outen. Sehr berührend die Szene, wo der Vater dem Sohn nach Hilfe fragt. Ein ganz tolles Buch, besser beschrieben hier in einer Kritik aus dem Archiv der „Die Zeit „ als das Buch Ende 80' in deutsche Sprache erschien.
    David Leavitt ist ein akkurater Photograph des amerikanischen Mittelstandes. Sein Thema: die Familienbande – und also Liebe und Tod. (…) Nichts Besonderes also, wovon Leavitt erzählt. Nachrichten aus der globalen westlichen Dorfmetropole. Doch seine detailgenauen Portraits und Gruppenbilder haben eine spezifische Unschärfe, die das graubunte Konterfei von [i]middle-class-America [/i]bricht: Diese Bürger haben, ja [i]sind [/i]Sexualität. Die Älteren, die Familienmütter und -väter, müssen eine heimliche Biographie ihres Körpers mit sich schleppen, verbergen oder verarbeiten (…) Männer, die ihre (homo-)sexuellen Begierden jahrzehntelang vor sich versteckt oder in Pornokinos kanalisiert haben und spät, zu spät erst auszubrechen versuchen. Und die Jüngeren? Von denen sind viele schwul oder lesbisch mit dem überindividuellen Selbst-Bewußtsein einer emanzipierten Generation; aber auch sie suchen – nicht zuletzt im „Zeitalter von Aids“ – nach Sicherheit in einer festen, monogamen Beziehung (…) Diese existentielle Unschärfe gibt den Erzählungen und Romanen überraschende Tiefenschärfe.(...) Ein Roman über Kommunikationsstörungen, über das Fehlen von Körper- und Seelensprache: Philip Benjamin, Mitte zwanzig, schwul, Jude, in New York bei einem Verlag jobbend und auf der Suche nach Liebe. Wo er sie zu finden glaubt, ist sie nur Schein, wo er sie finden könnte, sieht er sie nicht. Erste Pubertätsaffären mit College-Kollegen blieben ohne emotionale Befriedigung. Einziger Erfolg: Philip weiß seither wenigstens sicher, was er zuvor nur ahnte – die Lust auf Männer wird sein Leben bestimmen. Und also engagiert er sich in der Uni-Schwulengruppe, erzählt jedem, daß er [i]gay [/i]sei, außer seinen Eltern. Das traut er sich erst, als er meint, einen festen Freund gefunden zu haben, der ihn aber, unter der Last der Erwartungen erstickend, bald verläßt. Klassische coming-out-Geschichte, mit nur einem Haken: Zwar nehmen die Eltern die Eröffnung des Sohnes mit leidlich liberaler Ostküsten-Offenheit auf, doch ist Philips Bekenntnis für den Vater zugleich der Auslöser, seine eigenen, jahrzehntelang nur in anonymen Kontakten ausgelebten homosexuellen Bedürfnisse nicht länger zu verdrängen. Anti-Ödipus-Tragödie: Der Sohn befreit den Vater, die Mutter bleibt auf der Strecke. Nach 27 Jahren Ehe wird ausgesprochen, was sie immer schon spürte: daß ihr Mann sie geheiratet hat, um sich von seiner „Krankheit“ zu erlösen. Die Fehler der Vergangenheit sind nicht ungeschehen zu machen – und können nicht fortgesetzt werden, weil die Verdrängung ihre sedierende Wirkung verloren hat. Der kalte Wind der Wahrheit fegt durchs bürgerliche Idyll: Schluß mit den kuchengesättigten gemeinsamen Leseabenden. Das Kartenhaus bricht zusammen. Leavitt kontrastiert die Familien-Katastrophe leichthändig mit der genauen, aber unspektakulären Schilderung von New Yorker Wirklichkeit. Vater und Sohn erfahren auf ihrer verqueren [i]education sentimentale [/i]Tiefen und Höhen einer heimlichen beziehungsweise offenen schwulen Karriere, deren Stationen von den Video-Peep-Show-Kabinen eines Porno-Shops in der Christopher Street über die Bars und Discos der Subkultur bis zu den schicken Partys der [i]jeunesse dorée [/i]und den dezenten Diners der homosexuellen Intellektuellen reichen. Da jedoch diese Subkultur in New York integriert ist, überlappt sich die spezielle mit der „normalen“ Wirklichkeit – und Leavitts mikroskopische Beobachtungen zeigen das Besondere als Teil des Ganzen.Das ergibt: kein Genetsches Dschungelbuch der Monstrositäten; keine flapsig durchgestylte Yuppie-Schreibe wie bei Michael Chabon; und auch keine Mode-Metropolis-Literatur, die sich aufteilt am jeweils neuesten Jargon und den allerletzten Verführungen aus dem Arsenal der künstlichen Paradiese, wie bei Janowitz oder Mclnerney; sondern einen einfühlsamen Führer durchs Gestrüpp und Unterholz schmerzender Mittelmäßigkeit. Die verlorene Sprache der Kräne“ ist kein schwuler Bekenntnis- oder Aufklärungsroman, kein autobiographischer Befreiungsschlag, obwohl David Leavitts Lebenslauf viel Ähnlichkeit mit dem Philip Benjamins aufweist. (…) Wenn man so will, ist Leavitt der erste Autor einer normal-schwulen Literatur. Seine Sprache ist von präziser und doch nuancierter Klarheit und rhythmisierter Kraft (was auch in der Übersetzung Sabine Hedingers aufscheint); sein Formbewußtsein, deutlich geprägt von den Erfahrungen als Short-story-Schreiber, erlaubt ohne Einbuße an Leselust zahlreiche Vor- und Rückblenden, Überschneidungen und krasse Gegenschnitte, die gleichsam aus der Addition von lebensechten Photographien einen lebendigen, kontrastreichen Film voller Kontrapunkte machen. (...)Mit seinem zweiten Roman ist Leavitt, der Wirklichkeitsphotograph, noch weiter in die Tiefe gelangt. Und er hat das zustande gebracht, was er für die Aufgabe des Schriftstellers hält: „Meine Generation ist ziemlich unpolitisch. Wir sind an Politik nur interessiert, wenn sie unsere unmittelbaren Bedürfnisse berührt. Wir sind eine Generation, die mehr am Erreichen von Sicherheit interessiert ist. Ich bin kein Aktivist wie meine Mutter, aber ich habe mein eigenes politisches Bewußtsein. Grace Paley hat es am besten benannt: ‚Das Politischste, was man tun kann, ist, die Wahrheit zu sagen‘.“